Erwartungen und Vereinbarungen

Zettelwirtschaft​

Kürzlich bin ich auf einen Vortrag von Steve Chandler gestoßen. Darin erläutert er die Differenz zwischen expectations and agreements (Erwartungen und Vereinbarungen / Verabredungen).

Und mir fiel wieder ein, wie ich mich vor Jahren mit dem Thema beschäftige und wie es mein Leben veränderte. Wirklich.

Ich hatte gerade eine Beziehung beendet. Es ging von mir aus, ich wollte nicht mehr. Ich warf meinem Partner verschiedene Dinge vor — am meisten meine eigene Unzufriedenheit.

Es war nicht die erste Beziehung, die auf diese Art ihr Ende fand.

Mir ist damals — schmerzlich, und doch glücklicherweise — deutlich geworden, dass ich ein Muster wiederhole. Immer wieder. Und mir wurde klar, dass ich das ändern musste. Ich begriff, dass ich durch den (unkritischen) Umgang mit meinen Erwartungen mein Unglück selbst herbeiführte. Anders gesagt:
Ich habe gelernt, dass nicht andere für meine Unzufriedenheit Verantwortung tragen, sondern ich.
Und ich habe gelernt, dass meine Unzufriedenheiten oftmals aus meinen Erwartungen resultieren.

Verantwortungsübernahme

Auch für meine Erwartungen kann ich Verantwortung übernehmen. Ich habe die Wahl: Lasse ich sie ungeklärt im Raum (oder zumindest in meinem Kopf brummen) oder lege ich sie offen auf den Tisch. Wenn ich sie auf den Tisch lege, mache ich mich verletzbar: Ich zeige, was ich eigentlich will, was mir wirklich wichtig ist. (Das ist in einer romantischen Beziehung vermutlich generell eine gute Idee.)

Ich eröffne auch den Raum zur Aushandlung. Denn vielleicht hat mein*e Partner*in andere Vorstellungen. Und sicherlich hat er*sie ebenfalls Erwartungen an mich und unsere Beziehung.

Es ist witzig und tragisch, dass wir diese Art von Klärung bei der Arbeit für selbstverständlich halten und lange Workshops veranstalten um Teamregeln zu definieren. In unserer engsten Beziehung gehen wir jedoch davon, dass es einfach so klappen wird.
Warum? Weil Liebe über alles geht?
Setzen wir damit nicht Erwartungen und Hoffnungen in ein Konzept, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen und zu gestalten?

Erwartungen — Fragen — Verabredungen: eine Basis

Mit meinem folgenden Partner bin ich daher etwas kopfgesteuerter vorgegangen. Mit Klebezettelchen saßen wir auf seinem Sofa und haben notiert:
Was ist mir wichtig in dieser Beziehung?
Was wünsche ich mir von Dir, von unserem Miteinander?

Und dann haben wir diskutiert: “Was meinst Du damit genau? Kannst Du mir ein Beispiel nennen?”

Aus diesen offengelegten Erwartungen, Nachfragen und Klärungen folgten Vereinbarungen: Unsere Beziehungsregeln.

Das war — wie die meisten Klärungen — nicht leicht, doch letztlich erleichternd.
Es war erhellend: „Ach so tickst Du!“
Zusätzlich hat einen Grundstein für unsere Beziehungskultur gelegt, denn eine Sache wurde während des Prozesses bereits klar: Wir wünschen uns eine Beziehung, in der wir miteinander ins Gespräch gehen. Wir klären Themen. Wir glauben nicht, dass unser Gegenüber genauso tickt wie wir. Wir sind (zumindest grundsätzlich) gewillt, unsere jeweiligen Perspektiven und Wünsche miteinander zu teilen und von unseren zwei Standpunkten zu einem dritten zu kommen.

Durch das Offenlegen unserer Erwartungen und Wünsche kommen wir zu verlässlichen Vereinbarungen. Das mag nicht besonders romantisch klingen, reduziert jedoch die Phantasien und Enttäuschungen, die zu Leid, Ärger und Resignation führen. Und dadurch schütze und wertschätze ich mein Gegenüber, die Beziehung und mich (meine Wünsche). Und das wiederum ist ziemlich romantisch.

Natürlich ist dies kein einmaliger Prozess.
Wir verändern uns, entwickeln neue Wünsche und verabschieden uns von alten Ideen und Bildern. Daher suchen wir immer wieder das Gespräch: Inzwischen ohne Klebezettel, dafür mit zunehmender Geduld und Offenheit — meistens.

Und nun zu Dir …

  • Welche Erwartung solltest Du aussprechen, damit sie zu einer Vereinbarung werden kann?
  • Welche Vereinbarung braucht eine Aktualisierung? Woran erkennst Du das?
  • Welche Erwartungen hast Du Dir selbst gegenüber — und wie ernst nimmst Du Verabredungen mit Dir?