Hilfe in Krisenzeiten

Gemeinschaft hilft

Aktuell hören und lesen wir viel über die traumatischen Erlebnisse, die die Menschen in der Ukraine oder auf der Flucht erleben und erlebt haben. Was früher oft ignoriert oder gar bezweifelt wurde, wird heute mitfühlend und medial erklärt: Das Leid, das andauert, das sich in der Seele festsetzt und andauert, auch wenn die unmittelbare Gefahr vorbei ist.

Nicht jedes existenziell bedrohliche Ereignis führt zu einem posttraumatischen Belastungssyndrom (PTSD). Doch Menschen, die Krieg und Flucht erfahren haben, leiden besonders häufig daran: Sie erinnern sich plötzlich an bestimmte Bilder und dissoziieren (wirken wie weggetreten); sie erschrecken sich ohne erkennbaren Grund; sie empfinden emotionale Taubheit und Hoffnungslosigkeit; sie reagieren schnell (oder dauerhaft) traurig oder wütend; sie haben Konzentrationsschwierigkeiten oder Schlafprobleme.

Der Grund dafür sind die unverarbeiteten Erlebnisse, die sie in sich tragen, und die so bedrohlich waren, dass sie nicht als Geschichte mit Anfang und Ende abgespeichert wurden, sondern als Bilder, Geräusche, Szenen. Wenn jemand wieder an diese Bilder erinnert wird (eventuell ausgelöst durch einen äußeren Trigger, z. B. ein Geräusch oder Geruch), “befindet” die Person sich wieder in der Szene, in dieser erlebten existenziellen Ohnmacht.

Geflüchtete Menschen teilen oft diese Erfahrung der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins.

Sie brauchen einen sicheren Ort um sich zu erholen. Der erste Schritt ist somit Stabilisierung.

Ich habe einige Punkte notiert, auf die wir im Umgang mit Menschen, die Traumatisches erlebt haben, achten können. Die meisten Punkte treffen nicht nur auf den Umgang mit Geflüchteten zu, sondern auch auf Menschen, die anderweitig plötzlich von der Schwere des Lebens erwischt wurden.

Es handelt sich hierbei um Stabilisierungsmaßnahmen, keine traumatherapeutische Aufarbeitung. Diese gehört in die Hände von qualifiziertem Personal.

Folgende Maßnahmen können hilfreich sein:

  • Sorge für einen sicheren Ort — und sei es nur für eine bestimmte, klar benannte Zeitspanne. Planbarkeit und Verlässlichkeit geben Sicherheit. Hierzu können klare Abläufe und Rituale gehören, z. B. feste Zeitstrukturen für Mahlzeiten und Ruhezeiten.
  • Selbstwirksamkeit: Menschen, die Krieg und Flucht erleben, fühlen sich oft ohnmächtig, als sei ihnen jede Handlungsfähigkeit genommen worden. Daher ist es wichtig, sie bald wieder Selbstwirksamkeit erleben zu lassen z. B. durch Kochen und andere Aktivitäten. Untätigkeit verstärkt Gefühle von Ohnmacht und erhöht die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von traumatischen Folgeerkrankungen.
  • Gemeinschaft: Über das Erlebte sprechen fällt am Leichtesten in der eigenen Sprache und mit Menschen, die ähnliches erfahren haben. Gerade auf Kinder können Gruppenaktivitäten und das Hören der eigenen Sprache beruhigend wirken.
  • Psychoedukation: Ambivalente Gefühle, Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit, Angst, Wut oder Hoffnungslosigkeit sind für Geflüchtete, die sich plötzlich in einer ganz anderen Realität wiederfinden, normal. Es hilft, dies zu normalisieren um Gefühle wie Scham und Einsamkeit zu reduzieren.
  • Körperliche Bewegung: Menschen, die Traumatisches erlebt haben, neigen durch Erinnerungsfetzen zu Erstarrung — auch in ungefährlichen Situationen. Körperliche Bewegung trainiert wieder den Bezug zum Körper und zu seiner Lebendigkeit. Hilfreich können z. B. Schwimmen, Spazierengehen, Laufen oder Gymnastik sein.
  • Landkarte: Geflüchtete Menschen betrauern ihre Heimat und sorgen sich um Angehörige, die noch dort sind. Schweigen rückt die Erlebnisse eher noch ins Zentrum, eine Tabuisierung verfestigt die kreisenden Gedanken. Gerade in Gemeinschaftsunterkünften kann es daher hilfreich sein, eine Karte des Heimatlandes / der Region(en) aufzuhängen um Platz für Erinnerungen, Traurigkeit und die Gefühle den Abwesenden gegenüber zu schaffen.
  • Bleibe freundlich und verlässlich im Umgang, auch wenn Dein Gegenüber ärgerlich oder aggressiv wirkt. Dieser Ärger ist eine natürliche Reaktion auf das Erlebte und richtet sich vermutlich nicht gegen Dich persönlich. Dennoch: Eigenschutz ist sehr wichtig, da Menschen, die Gewalt erlebt haben, in dissoziativen Zuständen selbst übergriffig werden können. Sorge daher auch gut für Dich.

Jeder Mensch hat einen eigenen Umgang mit Belastung. Was mir gut tut, muss für Dich nicht das Richtige sein. Die o.g. Vorschläge mögen nicht alle und für jeden passen, bieten jedoch hoffentlich schon eine kleine Übersicht, was wir als Helfer*innen anbieten können um andere Personen zu unterstützen — und uns selbst zu stärken, wenn wir leiden.

Und bei aller Hilfsbereitschaft und dem dringenden Wunsch zu helfen:
Bitte achte stets auf Deine Grenzen und hole Dir rechtzeitig Unterstützung (durch Kolleg*innen und Supervision) — Du kannst niemandem helfen, wenn Du Dich überforderst.

… nichts geht ohne Hilfe: Dieser Text basiert auf Gedanken und Ideen, die maßgeblich durch Alexander Korittkos Arbeit geprägt wurden. Zudem haben meine Kolleg*innen Michaela und Oliver dem Text zu mehr Klarheit verholfen. Merci dafür.

Bist Du …

  • … aktuell ehrenamtlich helfend und hast den Eindruck, ein auf Dich (und Deine Fähigkeiten) fokussiertes Gespräch könnte Dir gut tun? Dann melde Dich gerne, ich halte mir einige Termine für kostenfreie Supervision frei.
  • … Teil eines ehrenamtlichen Helfersystems und Ihr sucht supervisorische Begleitung? Auch hierfür kannst Du mich gerne anfragen.