Für die meisten Menschen ist die Ankündigung einer Mediation ungefähr so ansprechend wie eine anstehende Wurzelbehandlung beim Zahnarzt:
Wir wissen, sie ist notwendig und nach der Pein wird es hoffentlich besser werden, aber den Weg durchs Schlamassel, in die Tiefen des Schmerzes, den meiden wir lieber.
Das ist nachvollziehbar und in gewisser Weise ökonomisch:
Menschen haben gemeinhin eine größere Angst vor Verlusten als Risikobereitschaft und eine Mediation — wie auch ein Zahnarztbesuch — bergen gewisse Risiken. Während sich vielleicht Zahnärzte zu Garantien hinreißen lassen, werden (seriöse) Mediator*innen dies nicht tun.
Spätestens hier wird die Metapher allerdings wackelig, da eine Zahnärztin den Entzündungsherd in gewisser Weise extrahieren kann, dies einem Mediator hingegen nicht möglich ist: wir können das kaputte Stück Miteinander nicht von den Beteiligten loslösen.
Ich möchte hier eine Lanze brechen für einen anderen Blick auf Mediationen. Was wäre denn, wenn wir Mediation wirklich als Chance begriffen? Als Luxus gemeinsam innezuhalten und mit externer Unterstützung die bisherige Beziehung abzuklopfen um — potentiell — in Zukunft eine noch bessere Beziehung zu führen?
Mediation als Prophylaxe?
Kürzlich kam ich selbst in den Genuss. Mit einem befreundeten Arbeitskollegen blickte ich auf unsere mannigfaltigen Beziehungen, die sich im Laufe der Zeit verändert haben. Zwar gehörte Selbstreflexion zu unserem Alltagsrepertoire, doch hatte diese durch einen Dritten begleitete Mediation noch mal einen anderen Wert und uns wurden neue Punkte über uns selbst und das Gegenüber ersichtlich, wodurch wir eine neue Verbundenheit miteinander spürten.
Als ich einige Tage später den Prozess Revue passieren ließ, war ich von tiefer Dankbarkeit erfüllt:
- Wir haben uns beide diese Zeit genommen und uns darauf eingelassen — wir wussten nicht, wie es werden würde.
- Wir haben uns — auch durch die kompetente Unterstützung — geöffnet und mehr oder Anderes zur Sprache gebracht als je zuvor.
- Wir haben nicht gewartet, bis es brennt, sondern “einfach so” kleinere Irritationen der letzten Zeit zum Anlass genommen um uns einen Reflexionsraum dieser Art zu nehmen.
Da wir nun also keinen (hoch) eskalierten Konflikt hatten, haben uns auch wenige Stunden gereicht.
Vielleicht ist irgendwann der Besuch bei der Mediatorin wirklich weniger mit Sorge verknüpft als beim Zahnarzt. Vielleicht ist er eher das prophylaktische Rückentraining oder die Zahnreinigung oder eine Kneippkur um das Beziehungsimmunsystem zu stärken.
Ich wünsche uns allen, dass wir mehr Prophylaxe betreiben um weniger sprichwörtliche oder manifeste Brände löschen zu müssen.
Und dennoch: Wenn es nunmal qualmt und knistert, können wir uns Hilfe holen. Denn nicht alles muss geräuchert werden.