Sprache und (körperliche) Distanz

Als ich Mitte März nach einer Woche offline-Sein aus Bayern zurück in den Norden kam, war „Social Distancing“ bereits in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen. Einige Begriffe brauchen lange um Fuß zu fassen, mit anderen geht es sehr schnell.

Bei mir spürte ich von Beginn an eine Zögerlichkeit. Soziale Distanzierung? Ist es das, was wir machen sollen? Sind wir nicht schon mehr als genug sozial distanziert?

Einige Wochen später ist mir klar: ich habe aktuell fast mehr soziale Nähe als zuvor. Einerseits telefoniere und videochatte ich plötzlich regelmäßig mit Menschen, die ich vorher nur selten gesprochen habe. Ich erfahre Dinge über sie, die sie mir sonst — in der Zeit vor Corona — nicht erzählt hätten, da wir uns noch nicht „so nah waren“.

Andererseits habe ich weniger Kontakt zu Menschen, die ich vorher durch „zufällige Ortsgebundenheit“ häufiger antraf.

In gewisser Weise sortiert die aktuelle Situation meine sozialen Kontakte: zu wem nehme ich aktiv Kontakt auf? Zu wem — aus welchen Gründen auch immer — nicht?

Gesprochen wird von Social Distancing, doch ich denke nicht, dass dies das Ziel ist.

Wir betreiben Physical Distancing.

Das eine lässt sich über einen messbaren Abstand definieren (1,5 Meter), das andere eher über die Anzahl der Kontaktaufnahmen, die Länge der Gespräche, die Tiefe der emotionalen Verbundenheit.

Sicher gibt es zahlreiche Personen, die sich sozial distanziert fühlen. Das kann ein Ergebnis der physischen Distanz sein. Gerade Menschen, die auf die Pflege anderer angewiesen sind, die sich allein fühlen und wenig oder keine Möglichkeit sehen, selbst Kontakt aufzunehmen. Für diese Menschen fallen die Begriffe im schlimmsten Fall zusammen.

Doch wir werden in unserer Analyse der Problematik unsauber, wenn wir die Begriffe verwechseln. Das eine ist aktives Handeln (physisch Abstand halten), das andere eine potentielle Konsequenz (oder aktives Unterlassen).

Lasst uns bei Physical Distancing bleiben — und Social Distancing verhindern.