
Als Führungskraft stehst du nach einem Todesfall im Team vor einer Situation, für die es kein Handbuch gibt. Du bist selbst betroffen, sollst aber gleichzeitig das Team stabilisieren. Du sollst Orientierung geben, obwohl du vielleicht selbst keine hast.
Diese Zerrissenheit ist keine persönliche Schwäche. Sie ist vielmehr eine logische Konsequenz. Die Führungsrolle enthält die paradoxe Erwartung, gleichzeitig Teil des Systems und außerhalb des Systems zu sein. Du bist Betroffener und Begleiter zugleich. Du bist gut beraten, wenn du gut für deine psychische Stabilität sorgst. Nur dann kannst du auch andere unterstützen.
Die Illusion der Handlungsmacht
Manche Menschen, auch Führungskräfte, reagieren auf einen Todesfall mit Aktionismus. Sie organisieren Trauerbegleiter, formulieren E-Mails ans Team, planen Gedenkveranstaltungen. Das kann hilfreich sein. Aber es ist wichtig zu verstehen, was dabei geschieht: Aktivität schützt vor Ohnmacht.
Die Frage ist: Dient deine Aktivität dem Team oder dir selbst? Beides ist legitim. Aber du solltest wissen, was du gerade tust.
Manchmal ist das Wichtigste, was eine Führungskraft tun kann, nichts zu tun. Aushalten, dass es keine Lösung gibt. Zulassen, dass auch du nicht weißt, wie es weitergeht. Das ist keine Schwäche. Es ist Akzeptanz der Realität.
Wie Trauer im Team sichtbar wird
Trauer zeigt sich nicht immer als Weinen. Sie zeigt sich in Mustern, in Verhaltensänderungen, in dem, was plötzlich nicht mehr gesagt wird. Manche Teammitglieder sind hoch engagiert, andere ziehen sich zurück. Manche werden wütend und suchen einen Schuldigen. Andere funktionieren weiter, als wäre nichts passiert.
All das sind Versuche, mit dem Unbegreiflichen umzugehen. Deine Aufgabe als Führungskraft ist nicht, zu bewerten, wer „richtig“ trauert. Deine Aufgabe ist, darauf zu achten, dass das Team arbeitsfähig bleibt, ohne die Trauer unsichtbar zu machen.
Das ist eine Gratwanderung. Einerseits muss der Betrieb weiterlaufen, andererseits braucht der Verlust einen Raum um die Leerstelle zu würdigen — und einen Rahmen, um die Trauernden nicht zusätzlich (z.B. durch gegenseitige Ansteckung) zu destabilisieren.
Was hilfreich sein kann
Ohnmacht anerkennen
Du darfst sagen: Ich weiß auch nicht, was jetzt richtig ist. Das ist keine Führungsschwäche, sondern Führungsstärke. Weil es ehrlich ist und dem Team die Erlaubnis gibt, auch nicht zu wissen.
Systeme suchen nach einfachen Lösungen. Nach Schuldigen, nach Erklärungen, nach Handlungsroutinen. Als Führungskraft kannst du diesem Reflex entgegenwirken, indem du die Komplexität zulässt. Indem du sagst: Das hier ist schwer, das hier ist mehrdeutig, das hier hat keine schnelle Lösung.
Differenz respektieren
Nicht alle im Team trauern gleich. Manche brauchen Arbeit als Struktur, andere brauchen Freiraum. Manche wollen reden, andere schweigen.
Die Frage ist: Wie viel Unterschiedlichkeit verträgt dieses Team gerade? Du kannst helfen, indem du die Differenz explizit machst. Zum Beispiel: Ich sehe, dass einige von euch lieber darüber sprechen und andere lieber schweigen (und arbeiten) möchten. Beides ist in Ordnung. Damit legitimierst du unterschiedliche Bewältigungsstrategien.
Autonomie ermöglichen
Menschen in Ohnmacht brauchen Handlungsspielräume. Nicht große, existenzielle Entscheidungen, sondern kleine, konkrete Wahlmöglichkeiten. Möchtest du an der Trauerfeier teilnehmen? Möchtest du gerade von zu Hause arbeiten oder ins Büro kommen? Soll ich das Team informieren oder möchtest du selbst sprechen?
Solche Fragen geben Kontrolle zurück. Nicht über das Unabänderbare, aber über den eigenen Umgang damit.
Aufmerksamkeit steuern
Nach einem Todesfall kreisen viele Teams um die immer gleichen Fragen: Hätten wir es verhindern können? Wer ist schuld? Diese Fragen sind verständlich. Sie geben die Illusion von Kontrolle. Aber irgendwann drehen sie sich im Kreis.
Du kannst andere Fragen danebenstellen. Nicht anstelle der alten, sondern ergänzend. Zum Beispiel: Was war wichtig in der Zusammenarbeit mit ihm? Was nehmen wir aus dieser Erfahrung mit? Wie wollen wir als Team weitermachen? Solche Fragen lenken die Aufmerksamkeit weg vom Problem und hin zur Gestaltung.
Rituale anbieten
Rituale schaffen Räume für Trauer, ohne sie zu erzwingen: Eine Kerze im Besprechungsraum, ein Foto am Arbeitsplatz, eine Schweigeminute oder ein gemeinsamer Spaziergang können verbindene Elemente sein.
Rituale markieren den Übergang zwischen dem Davor und dem Danach. Sie geben der Trauer eine Form, ohne sie zu definieren. Wichtig ist: Rituale müssen zum Team passen. Ein Kondolenzbuch funktioniert in einem textaffinen Team, in einem anderen wirkt es vielleicht aufgesetzt.
Langfristigkeit einplanen
Trauer verschwindet nicht nach einer Woche. Viele Führungskräfte unterschätzen, wie lange ein Todesfall nachwirkt. Die eigentliche Verarbeitung beginnt oft erst, wenn die erste Betäubung nachlässt.
Deshalb brauchst du einen langen Atem. Check-ins nach vier Wochen, nach drei Monaten, nach einem halben Jahr. Nicht aufdringlich, aber präsent. Die Botschaft ist: Wir haben das nicht vergessen.
Was du vermeiden solltest
- Durchhalteparolen wie „Wir müssen jetzt stark sein“ suggerieren, dass Trauer eine Schwäche ist, die überwunden werden muss.
- Pseudo-Empathie wie „Ich weiß, wie du dich fühlst“ ist fast immer falsch. Jede Trauer ist individuell. Besser: „Ich kann mir vorstellen, dass das gerade sehr schwer für dich ist.“
- Vergleiche ziehen wie „Als meine Mutter starb…“ verschieben die Aufmerksamkeit von der Trauer des anderen auf deine eigene Geschichte.
- Unsichtbar machen durch Business as usual ist keine Professionalität, sondern Verdrängung.
Wann externe Hilfe nötig ist
Manchmal reicht interne Begleitung nicht aus. Überlege, externe Unterstützung zu holen, wenn der Tod durch Suizid erfolgte, mehrere Teammitglieder stark beeinträchtigt sind, das Team in destruktive Muster verfällt oder du selbst an deine Grenzen kommst.
Der Tod eines Kollegen verändert ein Team. Er hinterlässt eine Lücke, die nicht einfach zu füllen ist und er zwingt dazu, sich mit der eigenen Endlichkeit zu befassen. Dies kann ein Schock sein — insbesondere für junge Teammitglieder.
Wenn du Gesprächsbedarf hast, kannst du dich an die Telefonseelsorge wenden.
Wenn du für dich oder dein Team Begleitung suchst, kannst du dich auch an mich wenden.