„Aber das wird doch uns nicht passieren!“

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Als risikobewusste Spezies versuchen wir meist, Gefahren frühzeitig zu erkennen um sie anschließend zu vermeiden. Wie ein Kollege kürzlich sagte: „Gefahr erkannt, Gefahr benannt.“
Wollen wir Schwierigkeiten vermeiden, haben wir es also mit zwei Schritten zu tun:

1. Das Erkennen, zu dem ein Differenzieren gehört, ein Verstehen (oder die Konstruktion einer Erklärung):

  • Ist das, was ich dort sehe, als gut oder schlecht zu bewerten?
  • Nimmst nur du dies als Gefahr wahr oder schließe ich mich dieser Interpretation an?

2. Sofern wir den ersten Schritt getan haben, ist es eine bewusste Entscheidung den zweiten Schritt (Gefahrenabwehr) zu tun — oder eine Handlung zu unterlassen.

Im Folgenden möchte ich mich anhand eines Beispiels dem ersten Schritt nähern.

Gefahren erkennen

Zuerst einmal muss ich ein Verständnis darüber haben, dass es Gefahren gibt und in welcher Gestalt sie auftreten können. Gründen zwei Freiberuflerinnen die Digitalagentur GmbH, so sind einige Gefahren offensichtlicher als andere:

  • Konkurrenzsituation zu anderen Anbietern
  • Marktsättigung
  • Höhere Betriebskosten als erwartet
  • Unklarheit darüber, wie viel Personal (und wie viele freie und angestellte Mitarbeiter*innen sie benötigen)
  • Rollenunklarheit (wer macht was?)

Diese Gefahren sind unseren Beispielgründerinnen von Beginn an bewusst. Sie haben sich bei der Gründung beraten lassen, wollen das Wachstum langsam angehen und haben sich grob verständigt, dass Karla Krausekopf sich um die kreativen Ideen kümmert, während Beate Bessering die geschäftliche Seite im Blick behält.

Gerade zu Beginn dieser Gründungsphase ist viel zu tun, die Tage sind lang, viele Entscheidungen zu treffen und sie merken, dass es bald nicht mehr so leicht läuft wie zuvor. Karla taucht immer wieder in andere Nebenprojekte ab oder verzettelt sich mit neuen Ideen und verpatzt dadurch den Notartermin; Beate zieht sich mehr und mehr zurück und brütet über ihrem Businessplans. Die Unterhaltungen werden kürzer, die Stimmung gereizter. Erste Zweifel werden der gemeinsamen Gründung gegenüber Dritten geäußert. Eine gemeinsame Freundin ist wach genug um zu erkennen, dass die Differenzen zwischen Karla und Beate nicht das Ende bedeuten müssen, sondern ein Anfang sein können. Sie empfiehlt eine Präventive Mediation.

Präventive Mediation?

Eine Präventive Mediation bedeutet, sich mit einem Konflikt zu beschäftigen, ehe er (zu) groß wird oder bereits, ehe er überhaupt diesen Namen verdient: Es geht um Konfliktprophylaxe. Genau genommen steuern Karla und Beate schon auf einen Konflikt hin, doch aufgrund der geringen Eskalation dürfen sie hier beispielhaft für eine präventive Konfliktvermeidungsmaßnahme auftreten.

Bei unserer gemeinsamen Arbeit wird es also nicht nur um das gehen, was bisher geschah, welche Verletzungen also bereits in der Vergangenheit geschehen sind, sondern es wird auch darauf geblickt, was noch zu erwarten ist:
Worüber könnten wir beide uns in die Haare bekommen? Wie können wir das vermeiden? Und falls es dennoch passiert: Wie gehen wir damit um? Was solltest Du über mich, meine Werte, Wünsche und Ängste und meine wunden Punkte wissen?

In dieser begleiteten Auseinandersetzung nähern wir uns somit den Gefahren, die eher im Verborgenen lauern und die vielleicht sogar als Stärke verkleidet auftreten:

  • Die langjährige Freundschaft zwischen den Gründerinnen
  • Umsetzungsorientierung (und dadurch wenig Raum für Neukundenakquise)
  • Die unterschiedlichen Kompetenzen („der kreative Kopf“ und „die bedachte Betriebswirtin“)
  • Die unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen („die Chaotin“ und „die Pedantin“)
  • Die unterschiedlichen Zielvorstellungen über die Gründung der GmbH hinaus

Nach dieser Klärung, aus der beide mit größerer Sicherheit über ihr gemeinsames Vorhaben gehen, entscheiden sie sich zusätzlich für eine weitergehende Konfliktprophylaxe in Form einer regelmäßigen Klausur zu zweit (mediativ geführt) um sich als Gründerinnen in ihrem Miteinander zu reflektieren. Der Satz „Aber das wird doch uns nicht passieren!“ ist seither eine Warnung für Wishful Thinking und die Erinnerung, nicht nur den Happy Path zu bedenken, sondern — wie in diesem Fall — durch die Umwege über die bereits sichtbaren und imaginierten Schwierigkeiten zu mehr Sicherheit und Vertrauen zu kommen.

Einladung zur Reflexion

  • Wo ist für Dich der Happy Path gut genug — und wo könnte es sich lohnen, einmal kritischer hinzusehen?
  • In welchen Bereichen ist Dir Prävention wichtig — und worauf vertraust Du in anderen Bereichen Deines Lebens?
  • Kannst Du Dir eine präventive Mediation vorstellen? Mit wem?

Ein weiteres Beispiel für präventive Maßnahmen finden Sie hier